Offener Brief an Merkel

Diesen offenen Brief an BK Merkel verfassten kurdischstämmige Kurden und Menschenrechtler hinsichtlich der Absage Merkels an einen unabhängigen Kurdenstaat

 

Sehr geehrte Frau Bundeskanzler, verehrte Dr. Angela Merkel,

mit Verwunderung, ja mit Entsetzen haben wir als Deutsche mit kurdischen Wurzeln Ihre jüngste Äußerung bei einer Veranstaltung mit Schüler*innen im niedersächsischen Goslar zur Kenntnis genommen, wonach Sie laut Agenturen nicht daran glauben, dass es dem Frieden in der Region dient, wenn es einen eigenen Kurdenstaat gebe.

Nun ersetzt „Glauben“ nicht Wissen, und umso mehr verwundert es uns, dass eine Bundesregierung, die über einen effektiven diplomatischen Dienst verfügt, zu derart eklatanten Fehleinschätzungen auf offensichtlich sachlich unbegründeter Glaubensbasis kommen kann. Müsste man es nicht besser wissen, so wäre hier ein von Unkenntnis, Inkompetenz und Fehleinschätzungen geprägtes Bild der Region des Nahen Ostens zu konstatieren.

Tatsache ist hingegen  – und das sollte eine Bundesregierung nicht nur wissen, sondern auch positiv begleiten  – die enge Kooperation der Kurden sowohl im Autonomen Gebiet im Irak als auch in den selbstverwalteten Regionen in Syrien mit den von der NATO gestellten Anti-IS-Kräften. Tatsache ist weiterhin, dass mit Ausnahme Israels kein autonom verwaltetes Gebiet in der Region dieselben Minderheiten und Frauenrechte garantiert, wie dieses in der Autonomen Region der Fall ist. Gleiches gilt in den selbstverwalteten Gebieten Syriens, in denen die Gleichberechtigung ebenso wie die Teilhabe aller gesellschaftlicher Gruppen im Rahmen des unter den dortigen Kriegsbedingungen Möglichen verwirklicht wird.

Die von den Kurden selbstverwalteten Regionen sind im Sinne der Ideale Europas jene Ankerpunkte von Demokratie, Gleichberechtigung, Glaubensfreiheit und Minderheitenrecht, an denen sich die Völker des Nahen Osten für ihre künftige Entwicklung orientieren können. Ihnen dieses abzusprechen gleicht einem Verrat an Verbündeten, die alles in ihrer Kraft Stehende getan haben, um den Idealen und Werten des Westens in der von Krisen geschüttelten Region zum Durchbruch zu verhelfen. Mit dem von Ihnen, werte Frau Bundeskanzler, vorgetragenen Glaubenssatz leisten Sie und mit Ihnen die Bundesregierung einen bedeutsamen Beitrag zu Destabilisierung der gegenwärtigen Sicherheitsarchitektur und der zukünftigen Stabilität im Nahen Osten – unmittelbar vor den Türen Europas, wo eine sich von Europa abwendende Türkei sich von einer laizistischen Demokratie zu einer islamnationalistischen Autokratie wandelt,  der Irak als koloniales Kunstprodukt an seinen inneren Gegensätzen scheitert, im Iran eine archaische Klerikerclique das Volk um Freiheit und Wohlstand betrügt und der Welt mit der Entwicklung von Atomwaffen droht

Wir, die Deutschen kurdischer Herkunft, verweisen eindringlich darauf, dass allein das Bestehen der Autonomen Region Kurdistan im nördlichen Irak und in Syrien ein Garant für Freiheit, Stabilität und Fortschritt in der Region ist und das freiheitliche Kurdistan mit Medinat Israel die einzigen demokratischen Länder der Region im Sinne unserer gemeinsamen, westlichen Wertegemeinschaft sind.

Die von Ihnen vielleicht geglaubte Vorstellung, aus den kolonialen Kunstprodukten Irak und Syrien freiheitlich-demokratische Bundesstaaten nach bundesdeutschem Muster zu schaffen, geht fehl allein schon deshalb, weil ein gemeinsames Band hierzu niemals geschaffen wurde. Ihre Aussage steht insofern in der Fortsetzung der gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker gerichteten Kolonialpolitik des 19. Und frühen 20. Jahrhunderts. Sie, werte Frau Bundeskanzler, stehen damit in der imperialistisch-undemokratischen Tradition jener Politiker aus Frankreich und dem Vereinigten Königreich, die im Sinne ihrer jeweiligen Imperialismusinteressen  unter Verstoß gegen  die Prinzipien des Völkerbundes vor 100 Jahren die Volker des untergegangenen Osmanischen Imperiums um ihre Selbstbestimmung betrogen haben.

Wir weisen vorsorglich darauf hin: Vor einhundert Jahren begann das Lügen und Betrügen der Nationen Europas gegenüber den Menschen des Nahen Ostens mit jenem geheimen Sykes-Picot-Abkommen, mit dem die Briten ihre Bündnisverpflichtungen gegenüber den haschemitischen Arabern verrieten. Der Verrat setzte sich mit den gebrochenen Verträgen von Sèvres fort. Dort wurde völkerrechtlich und auf Basis der Regeln des Völkerbundes dem kurdischen Volk ein eigener Staat zugesichert, womit nach dem Krieg eine neue stabile Ordnung gesichert werden sollte. Mit dem Vertrag von Lausanne von 1923 begann die Revision der Maßnahmen gegen die dem Osmanischen Reich nachfolgende Türkei und damit die Legitimation hunderttausendfacher Flucht und Vertreibungen von Kurden, Aramäern, Griechen, Armeniern und anderen Volksgruppen.

Sie, werte Frau Dr. Merkel, setzen mit Ihrer Aussage und den daraus resultierenden Haltungen und Entscheidungen diese imperiale Politik als unfassbaren Akt des Neokolonialismus fort. Gerade als Bundeskanzler der Deutschen, die 1990 ihre Freiheit in Einheit wiederfanden, sollten Sie sich nicht bereit erklären,  dem größten derzeit staatenlosen Volk der Welt mit etwa 60 Millionen Menschen einen eigenen Staat aus postkolonialistischen oder vorgeblich politisch opportunen Interessen zu versagen. Mit einer solchen, gegen Völkerrecht und Geist der europäischen Demokratie verstoßenden Auffassung  machen Sie sich zum späten Handlanger einer menschenverachtenden Politik, die den Kurden die Fähigkeit zu Demokratie und verantwortungsbewusster Politik gezielt abgesprochen hat und abspricht.

Ihnen wird bekannt sein, dass die Autonome Region Kurdistan (Hikûmeta Herêma Kurdistanê) im nördlichen Irak spätestens seit 1992 als Partner der USA der dortige Anker für Freiheit, Frieden und Stabilität und damit der einzige verlässliche Partner des Westens im Kampf um eine Demokratisierung der Region ist. Während sich Ihr Außenminister via Twitter die kurdischen Erfolge im Kampf gegen den IS-Terror zu Eigen macht, wird der kurdische Einsatz im Kampf um Freiheit und Toleranz – täglich erkämpft an vorderster Front mit einem unermesslich hohen Blutzoll an Leib und Leben kurdischer Töchter und Söhne – mit Glaubenssätzen wie dem Ihrem negiert und niedergenacht. Vor allem auch gilt – und das sollten Sie, werte Frau Bundeskanzler, wissen, wenn Sie die Berichte Ihrer Dienste sorgsam lesen – dass die Destabilisierung der Region zu keinem Zeitpunkt von den Kurden ausgegangen ist, sondern aktiv von einer autokratischen, nationalfaschistischen Clique in der Türkei und den Mullahs im Iran betrieben wurde und wird.

Wir, die Deutschen mit kurdischen Wurzeln, die mit all unserem Tun und Wollen für eine freiheitliche deutsche Demokratie einstehen, erwarten von unserer Regierung eine sachlich an Tatsachen orientierte Politik auch

gegenüber den berechtigten und völkerrechtlich zugesagten Ansprüchen unserer Volksgruppe. Mit Glaubenssätzen wie dem von Ihnen vorgetragenen,  werte Frau Bundeskanzler, gerät die deutsche Politik in die Gefahr, die Fehler von 1916 zu wiederholen, als eine scheinbar unvermeidbare Rücksichtnahme auf einen  Partner dafür sorgte, dass die Deutschen den ersten Völkermord des vergangenen Jahrhunderts billigten.

Die deutsche Politik sollte in der Lage sein, aus der Geschichte zu lernen. Sie sollte in der Lage sein, die berechtigten Anliegen ihrer treuesten Verbündeten im Kampf gegen den globalen Terror angemessen zu vertreten. Sie sollte nicht zuletzt in der Lage sein, Politik aus einer sachgerechten Warte der vernünftigen Beurteilung zu gestalten – nicht aus Glaubensannahmen, denen es offenbar an Sachkenntnis in jeder Hinsicht mangelt.

Erstunterzeichner

Mehmet Tanriverdi (BVK). Stv. Bundesvorsitzender Kurdische Gemeinde-Deutschland, Unternehmer in Gießen

Akram Naasan. Vorstand: Medizinische Internationale Hilfe, Roja Sor, Syrien, Leitender Notfallmediziner, Usedom-Vorpommern

Peter Christian Bürger. Publizist und Zeitzeuge, Menschenrechtszentrum Cottbus
Bildungs- und Erinnerungsstätte Gefängnis Kaßberg, Beirat der Kurdischen Gemeinde Deutschland

Osman Güden. Vorsitzender der Mala Ezdaî ( Êzîdische Gemeinde Kalkar), Menschenrechtsaktivist, Bauunternehmer in Kalkar

Prof. Dr. Schlomo Schafir. Internationales Management, Tel-Aviv/Berlin, Forschungsgemeinschaft für Ethik & Politik, Hamburg-Chicago-Danzig

Mona Körber. Bloggerin, Ltr. Soziale Dienste & Projektmanagment,
Amerikanisch-Israelisch-Deutsche Wirtschaftskommunikation, Oldenburg i.O.

Dr. Stefan Prystawik. Staatsrechtler, Akademischer Direktor der BerufsAkademie M-V, Präsident UCM, Clearwater FL/Bielefeld/Rostock

Adem Saracoglu. MSc. Bauing, GF Taunus Hausbau GmbH, Vorsitzender der Kurdische Gemeinde Rhein-Main,

Tobias Huch. Politologe, Journalist, Publizist, Beirat der Kurdischen Gemeinde Deutschland, London

Izhak Aharon. Chefredakteur und Herausgeber, HaOlam.de, Berlin

Mona Körber. Leiterin in der Sozialdienstleistung, Bloggerin, Amerikanisch-Israelisch-Deutsche Wirtschaftskommunikation, iGOP Abroad, Oldenburg, i.O. Norfolk, VA

Dr. Kamal Sido. Referent für ethnische, religiöse, sprachliche Minderheiten und Nationalitäten, Göttingen

Gilan Harki.
Taxiunternehmer, Vors. Der PDK Kurdistan, Mitglied der PDK Berlin, Neuwied

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