Gutachterliche Stellungnahme zu DrS 17/13070 LT-NRW
„Gesetzentwurf der Fraktion SPD Gesetz zur Erhöhung der parlamentarischen Transparenz und zur Bekämpfung der parlamentarischen Korruption“
Vorab:
Korrekt beschrieben handelt es sich bei DrS 17/13070 nicht um einen Gesetzentwurf, sondern um Änderungen an einem bestehenden Gesetz „Abgeordnetengesetz des Landes Nordrhein-Westfalen – AbgG NRW“.
Der Antragsteller begründet seine Änderungsvorschläge wie folgt:
„Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger ist das Fundament des deutschen Parlamentarismus. Bereits der Verdacht, dass Abgeordnete ihr Mandat missbraucht haben könnten, um eigene monetäre Interessen zu verfolgen, stellt einen erheblichen Vertrauensbruch dar. Deutschland wurde auch schon in den Jahren 2016, 2019 und 2020 wegen der bisherigen Untätigkeit des Deutschen Bundestages bei der Reform dieser Regeln mehrmals von der Staatengruppe des Europarates gegen Korruption (GRECO) gerügt. Das Ansehen des deutschen Parlamentarismus hat die letzten Jahre sowohl national als auch international erhebliche Schäden erlitten. Durch zahlreiche Ereignisse in Bezug auf unlauteren Lobbyismus und Nebeneinkünfte von Abgeordneten von Bund und Ländern wurde die Effektivität der geltenden parlamentarischen Transparenzregeln und sonstigen Antikorruptionsmaßnahmen mehrmals infrage gestellt.
Auch ist das geltende Regelwerk über die Transparenzregeln für Landtagsabgeordnete unübersichtlich und intransparent geregelt.“
Der Antragsteller geht insofern davon aus, dass ein Missbrauch des Abgeordnetenmandats vorliegt, sobald der Abgeordnete mit den Möglichkeiten dieses Mandats eigene monetäre Interessen verfolgt. Er folgt damit der Auffassung, dass die Abgeordnetentätigkeit dem Grunde nach ehrenamtlich nicht im Sinne des eigenen Nutzens, sondern im Sinne des Gemeinwohlinteresses wahrzunehmen ist, beschränkt dabei jedoch dieses Nutzen auf „eigene monetäre Interessen“, also unmittelbar mit der Ausübung des Abgeordnetenmandats in Zusammenhang stehenden, materiellen Interessen. Es wird darauf einzugehen sein, ob und wie weit eine solche Einschränkung zielführend ist.
Der Antragsteller kritisiert weiterhin „unlauteren Lobbyismus und Nebeneinkünfte von Abgeordneten“, wodurch das Ansehen des deutschen Parlamentarismus erhebliche Schäden erlitten habe. Diese Behauptung bedarf der grundsätzlichen Klärung des Begriffs Lobbyismus in Zusammenhang mit einem Abgeordnetenmandat, der Frage nach den „Nebeneinkünften“ eines Abgeordneten sowie der Klärung des behaupteten Zusammenhangs zwischen beiden.
Grundsätzlich: Funktion des und Anspruch an den Abgeordneten
In der Parlamentarischen Demokratie gilt der gewählte Abgeordnete als Vertreter des Souveräns, welches als Staatsvolk definiert wird. Der Abgeordnete erhält insofern bei den Wahlen von seinem Auftraggeber – dem Wähler – den Auftrag, im Sinne des Wählers dessen Interessen durchzusetzen. Im Sinne der Transparenz und um seine Wählbarkeit dem potentiellen Wähler zu vermitteln, tritt der Bewerber i.d.R. vor dem Wahlgang mit einem Katalog jener politischen Ziele an die Öffentlichkeit, die zu erreichen er im Falle seiner Wahl anstrebt und seinen Wählern durchzusetzen zusagt. Damit jedoch bereits ist der Abgeordnete eines jeden, nach demokratischen Prinzipien besetzten Parlaments zum Zeitpunkt seiner Wahl nicht der imaginäre Volksvertreter, der vorgeblich theoretisch zu definierende Gemeinwohlinteressen vertritt, sondern Lobbyist seiner Wähler, die den Anspruch erheben können, die vom Bewerber vor seiner Wahl getätigten Zusagen umgesetzt zu sehen. Folgt der gewählte Abgeordnete diesem Anspruch nicht – was gemäß der Ausschließlichkeit der verfassungsmäßig festgeschriebenen Unabhängigkeit und ausschließlichen Gewissensbindung des Abgeordneten zulässig ist -, so ist populärbegrifflich von „Wählerbetrug“ die Rede. Zwar ist diese Behauptung aufgrund besagter Gewissenfreiheit juristisch unzutreffend, sie kann jedoch zur Folge haben, dass der entsprechende Abgeordnete beim Versuch seiner Wiederwahl aufgrund der nicht umgesetzten Vowahlzusagen nicht wiedergewählt wird und sein Mandat verliert.
Festzuhalten bleibt: Jeder Abgeordnete ist qua Wahl Lobbyist, also Interessenvertreter. Die entscheidende Frage bei der Beurteilung dessen, welcher Lobbyismus „unlauter“ und welcher mandatsbedingt lauter bzw. notwendig ist, kann insofern entweder juristisch oder moralisch beurteilt werden.
Juristisch gehen die Abgeodnetengesetze der Bundesrepublik Deutschland davon aus, dass ein Abgeordneter für seine Abgeordnetentätigkeit durch das Gemeinwesen bezahlt wird. Ausnahmen stellen die sogenannten Freizeitparlamente dar, die jedoch besser als Teilzeitparlamente zu bezeichnen wären, da der dort geleistete Aufwand ausschließlich in der Freizeit als Zeit der Nichterwerbstätigkeit kaum zu leisten ist.
Die Bezahlung, die zumeist über Diäten und steuerfreie Zulagen erfolgt, verfolgt in seiner eigentlichen Begründung den Zweck, dem gewählten Abgeordneten die durch den Umstieg vom Erwerbsleben in die Abgeordnetentätigkeit erwarteten Einkommensausfälle zu ersetzen. Tatsächlich allerdings war der Weg zur Diät, den der deutsche Parlamentarismus seit 1867 genommen hat, anders motiviert.
Die ersten frei gewählten Parlamente des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichs sahen ausdrücklich keinerlei Erstattung eines wie auch immer begründeten Einkommensausfalls des gewählten Abgeordneten vor. Der Abgeordnete musste sich insofern seine Abgeordnetentätigkeit „leisten“ können, was ursprünglich dazu betrug, das Parlament mit Vertretern der begüterten Schichten zu besetzen, gleichzeitig aber auch maßgeblich den Parteienbildungsprozess beförderte, da insbesondere seinerzeit in Gründung befindliche Sozialvereine durch Mitgliederzuwendungen „ihren“ Abgeordneten finanzieren konnten. Unnötig zu sagen, dass letztere im Gegensatz zu den begüterten Abgeordneten von vornherein einer Einschränkung ihrer Gewissensfreiheit unterlagen, da die Vereinsfinanzierung notwendig den Anspruch erhob, die im Verein definierten Ziele notfalls auch über die persönlichen Anschauungen des gewählten Abgeordneten zu stellen.
Das gesetzliche Verbot von Diäten, welches durch die Vereinsfinanzierung umgangen werden konnte, fiel mit dem Gesetz über Aufwandsentschädigung am 25. Mai 1906. Ab diesem Zeitpunkt erhielten Reichstagsabgeordnete eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 3.000 Reichsmark im Jahr, wobei für jede versäumte Sitzung ein Betrag in Höhe von 20 Reichsmark in Abzug gebracht wurde.
Bereits hier sei darauf hingewiesen, dass der Begriff „Aufwandsentschädigung“ irreführend ist. Tatsächlich entsprach der ausgewiesene Betrag dem zwei- bis dreifachen des Jahreslohns eines Industriearbeiters, womit letztlich der Einstieg in en Status eines Berufsabgeordneten eingeleitet wurde.
Inflationsbedingt wurde der Jahresbetrag per 1. Dezember 1916 auf 5.000 Mark im Jahr bei 30 RM Abzug pro versäumte Sitzung angehoben.
Zum 1. Februar 1919 erfolgte eine Umstellung der Diät von gestückelter, jährlicher Auszahlung in Höhe von 5.000 RM auf monatliche Zahlung von 1.000 RM. Der Reichstagsabgeordnete erhielt somit im Jahr 12.000 RM zuzüglich einer Entschädigung in Höhe von 20 RM je Ausschusssitzung, die nicht in eine Plenarwoche fiel. Die Aufwandsentschädigung für das Abgeordnetenmandat lag damit zu diesem Zeitpunkt um das sechsfache höher als das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen – eine Relation, die sich durch die Entwicklung in der Weimarer Republik bis 1933 weiter zugunsten des Abgeordneten verbesserte. Das Reichstags-Abgeordnetenmandat war somit spätestens ab 1919 eine überaus lukrative Alternative zu einer normalen Erwerbstätigkeit.
Problematik einer überhöhten Diät
Da die Diätenzahlung aus Mitteln des Gemeinwesens an keinerlei beruflich Qualifikationen oder individuelle Vermögenslagen sondern ausschließlich an die erfolgreiche Kandidatur bei einer Wahl geknüpft ist, kann ein solches Verfahren die Tendenz entwickeln, dass die politische Betätigung insbesondere für Personenkreise, die in ihrer eigentlichen beruflichen Tätigkeit erfolglos sind oder über keine angemessene Berufsausbildung verfügen, materiell attraktiv wird. Gleichzeitig wird sie dafür Sorge tragen, dass das Mandat für im Berufsleben erfolgreiche oder begüterte Bürger an Attraktivität verliert. Bewirkte folglich das Diätenverbot von 1871 tendenziell die Besetzung des Parlaments mit Vertretern des Besitzbürgertums, so leitet die Einführung einer überproportional hohen Diät die Umkehrung dieses Prozesse zugunsten der unbegüterten Schichten ein. Die Besetzung des Parlaments verschiebt sich damit tendenziell weg von jenen, deren persönlicher Wohlstand unmittelbar mit dem Staatswohl einhergeht, hin zu jenen, denen aufgrund ihrer persönlichen Lage, mehr noch aber aufgrund ihres über die Parteienbildung unvermeidbaren Lobbyismus zugunsten unbegüterter Schichten der konsumtive Einsatz der staatlichen Mittel vorrangig ist vor langfristiger Sicherung der Staatsfinanzen. Der bereits in der Weimarer Zeit bestehende Konflikt zwischen schuldenfreien Staatshaushalten und Staatsverschuldung zulasten künftiger Generationen steht insofern in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Einführung und dem Ausbau der Abgeordnetenfinanzierung durch den Staat.
Ein weiteres, grundsätzliches Problem der Staatsfinanzierung des Abgeordnetenmandats begründet maßgeblich die Drucksache 17/13070. Es lautet: Darf – und falls ja, in welchem Umfang – der staatsfinanzierte Abgeordnete neben seinen Mandatsbezügen weitere Einkünfte generieren?
Die Tendenz der Drucksache geht dahin, solche „Nebeneinkünfte“ grundsätzlich abzulehnen. Damit allerdings weist der Antrag in die Richtung eines quasi staatsbeamteten Abgeordneten, was sowohl dem parlamentarischen Ansatz des Abgeordneten als Volksvertreter widerspricht, als auch Personenkreise, die über Einkünfte aus eigenverantwortlicher Tätigkeit verfügen, von der Teilnahme am parlamentarischen Prozess ausschließt. So könnten beispielsweise Agrarunternehmer, deren Betrieb auch während einer Abgeordnetentätigkeit notwendig weiterlaufen muss, ebenso wie selbständige Unternehmer, die im Anschluss an ihre Abgeordnetentätigkeit im eigenen Unternehmen materiell aufgefangen werden müssen, grundsätzlich von der Teilhabe am parlamentarischen Prozess ausgeschlossen werden.
Zudem stellt sich die Frage, ob und wieweit ein Abgeordneter das Recht haben muss, im Rahmen seiner Abgeordnetentätigkeit Vorsorge für seine Zeit nach Ausstieg aus der parlamentarischen Arbeit zu tragen. Insofern scheint die vom Antragsteller implizierte Verknüpfung von „unlauterem Lobbyismus“ mit „Nebeneinkünften“ überaus fragwürdig.
- Da Lobbyismus grundsätzlich die Voraussetzung einer Abgeordnetentätigkeit ist, stellt sich tatsächlich die Frage, ab welcher Situation ein solcher als „unlauter“ zu betrachten ist. Ohne jeden Zweifel „lauter“ ist der Lobbyismus, wenn er der Erfüllung der Vorwahlzusagen im Sinne der Wählerschaft dient und dabei nicht mit persönlicher Vorteilsnahme verknüpft ist. Fragwürdig allerdings wird die Lauterkeit in dem Moment, in dem der Abgeordnete als Interessenvertreter in ein Parlament einzieht, dem auch nach Einzug in das Parlament seitens Dritter Zuwendungen zukommen, die den Verdacht einer Begünstigung zumindest befördern. Dazu zählen bezahlte Tätigkeiten für gewerbliche Unternehmen und/oder Konzerne ebenso wie Gehälter oder andere Zuwendungen beispielsweise von Gewerkschaften oder gar Parteien, wenn diese die ehrenamtliche Tätigkeit im Parteivorstand mit einem monatlichen und aus der Parteikasse zu finanzierenden Bezug alimentieren.
- In wieweit sind Bezüge aus selbständiger Tätigkeit, die sich aus einer bereits vor der Abgeordnetenzeit bestehenden, erfolgreichen Tätigkeit ergeben, als unzulässige Nebeneinkünfte zu verstehen – und inwieweit gilt dieses für bezahlte Nebentätigkeiten während der Abgeordnetenzeit, die sicherstellen sollen, dass der Abgeordnete nach Ende seiner Abgeordnetenzeit eine weiterführende Erwerbsquelle hat?
Lösungsansätze
Dem deutschen Parlamentarismus wäre zu empfehlen, folgende Fragen grundsätzlich zu diskutieren und nach Lösungsansätzen zu suchen:
- Liegt es im Interesse des Souveräns und damit im Interesse der Parlamentarischen Demokratie, das Abgeordnetenmandat und damit die Legislative von der ursprünglichen Abhängigkeit vom Wähler über die staatliche Abgeordnetenfinanzierung in die finale Abhängigkeit vom Staat und damit von der Exekutive zu drängen? Wieweit ist ein Parlament, das letztlich aus materiell staatsabhängigen Abgeordneten besteht, noch in der Lage, seine ursprünglichen Aufgaben einer von der Exekutive unabhängigen Legislativgewalt nebst Kontrolle der Exekutive objektiv und unabhängig wahrzunehmen?
- Liegt es im Interesse des Souveräns, durch die Höhe der staatlichen Abgeordnetenfinanzierung die ursprünglich als Ehrenamt gedachte Abgeordnetentätigkeit in eine berufsgleiche Erwerbstätigkeit umzuwandeln, die umso mehr Attraktivität auf Kreise ausübt, die über andere Wege der beruflichen Qualifikation und Tätigkeiten chancenlos bleiben müssen, vergleichsweise feste und sichere Bezüge zu generieren?
- Liegt es im Interesse des Souveräns, durch möglicherweise überzogene Nebenverdienstverbote ganze Schichten der Bevölkerung grundsätzlich vom Teilhabeprozess am Parlamentarismus auszuschließen und damit einer Verbürokratisierung der Parlamente und der damit notwendig einhergehenden Entfremdung zwischen Souverän und Parlamentarier durch letztlich staatsbesoldete Abgeordnete den Weg zu bahnen?
Antworten auf diese Fragen bedürften einer grundsätzlichen Beschäftigung mit der Rolle und Funktion des Abgeordneten. Eine solche wird durch die letztlich als oberflächliche Kosmetik zu betrachtende Gesetzesänderung der Drucksache in keiner Weise geleistet.
Um gleichwohl einen parlamentarischen Beschäftigungsprozess anzuregen, werden im Folgenden ohne Priorisierung einige Möglichkeiten aufgezeigt, die vorhandenen Konflikte und Zieldissonanzen anzugehen. Ob und in welcher Weise das Parlament sich damit auseinanderzusetzen bereit ist, obliegt ausschließlich diesem selbst.
Der Abgeordnete als unabhängiger Volksvertreter
Die ursprüngliche Intention, den Abgeordneten als von der Exekutive in jeder Hinsicht unabhängigen Volkslobbyisten zu etablieren, steht scheinbar im Widerspruch sowohl zu der materiellen Absicherung des Abgeordneten als auch zum Anspruch auf Unabhängigkeit von Dritten.
Ein möglicher Lösungsansatz könnte es sein, sich von der Vorstellung einer Pauschaldiät grundsätzlich zu lösen, sondern diese an die Einkommenslage des Abgeordneten zu koppeln. Der Ansatz könnte lauten, die Diät unmittelbar an das versteuerte Einkommen beispielsweise im Mittel der drei vorangegangenen Jahre zu koppeln. Damit erhielte das Abgeordnetenmandat auch Attraktivität für Personenkreise, deren Jahreseinkommen über dem der festen Diät liegt. Die Parlamente könnten damit den Weg zu einer tatsächlich ausgewogenen Volksvertretung gehen.
Eine solche Diätenregelung setzt voraus, dass die bisherigen Einkünfte während der Abgeordnetenzeit ausbleiben. Soweit dieses dem Abgeordneten aus Gründen seiner Zukunftssicherung beispielsweise als Landwirt nicht möglich ist, wäre die Diät um jene Einkünfte zu kürzen, die aus der selbständigen Tätigkeit während der Abgeordnetentätigkeit generiert werden. Dieses ermöglichte es dem Selbständigen, seine ursprüngliche Tätigkeit ggf. auch ruhen zu lassen oder zurückzufahren, ohne dadurch materielle Nachteile zu erleiden, aber auch ohne unerwünschte Zusatz(Neben)verdienste die Diäten aufzustocken.
Da bei dieser Lösung nicht auszuschließen wäre, dass Unbegüterte mangels versteuerbarer Einkünfte als Abgeordnete ohne Diätbezug blieben, sollte für solche Personenkreise eine Grunddiät in Höhe des existenzsichernden Mindesteinkommens vorgesehen werden.
Eine solche Lösung entspräche dem ursprünglichen Ziel, im parlamentarischen System möglichst die gesamte Breite des Volks zu berücksichtigen am ehesten. Gleichzeitig verhindert es, dass das Parlament zu einer Selbstbedienungsinstanz von Berufsabgeordneten wird, die notwendig den Bezug zu ihrem eigentlichen Auftraggeber, dem Souverän, verlieren müssen. So wird weiterhin die Unabhängigkeit des Abgeordneten von der Legislative gewährleistet, da die mit der Abgeordnetentätigkeit verknüpfte, materielle Zuwendung nach wie vor in unmittelbarem Zusammenhang mit der eigenen Lebensleistung und nicht in Abhängigkeit von Staatsalmosen steht.
Hingewiesen werden soll in diesem Zusammenhang darauf, dass jedwede Mandatshäufung zwischen Legislative und Exekutive grundsätzlich auszuschließen ist. Die Kontrollaufgabe der Legislative ebenso wie deren Aufgabe der unabhängigen Gesetzgebung schließen jedwede Kopplung eines Abgeordnetenmandats mit einer Exekutivtätigkeit grundsätzlich aus. Wer als Vertreter der Legislative in die Exekutive wechselt – beispielsweise als Minister oder Staatssekretär – hat damit sein Abgeordnetenmandat freizugeben. Da eine vorübergehende Besetzung dieses Mandats durch einen Stellvertreter derzeit nicht vorgesehen ist, bleibt der grundsätzliche Verzicht auf das Mandat im Falle des Wechsels in die Exekutive unvermeidbar. Andernfalls wäre das Parlament seiner Funktionsfähigkeit als Kontrollorgan und unabhängiger Gesetzgeber unabhängig davon, wie viele Exekutivvertreter Mandate der Legislative besetzen, beraubt.
Zeitliche Begrenzung des Abgeordnetenmandats
Gelegentlich wird die Forderung aufgestellt, die Zeit als Abgeordneter beispielsweise auf zwei Legislaturperioden zu beschränken. Eine solche Forderung ist abzulehnen, solange das Abgeordnetenmandat der Aufgabe als Lobby des Wählers gerecht wird, da es ausschließlich im Ermessen des Bürgers stehen darf, darüber zu entscheiden, ob er seinem Vertreter auch nach zwei Legislaturperioden das Vertrauen schenkt.
Anders allerdings ist die Situation zu betrachten, wenn der zu beobachtende Trend des Berufsparlamentariers in maßgeblicher Parteienabhängigkeit – organisiert über die Nominierungsprozesse – fortgesetzt wird. Bei einer solchen Entwicklung ist die Forderung nach Legislaturperiodenbegrenzung im Sinne der Vermeidung zu großer Abhängigkeiten von der Exekutive ebenso zweckmäßig wie die Wirkkraft der Lebensarbeitszeitbegrenzung. So lange ein lohnabhängig tätiger Bürger mit Erreichen eines bestimmten Lebensalters in den Zwangsruhestand geschickt wird, ist eine entsprechende Regelung bei Berufsabgeordneten zwingend.
Nebeneinkünfte und Transparenz
Die scheinbar sinnfälligen Regelungen, die bereits im bestehenden Abgeordnetengesetz getroffen werden, leiden unter mehreren Mängeln. Neben den bereits Dargestellten ist dieses vor allem die latente Kriminalisierung eines jeden Abgeordneten, der einer Nebentätigkeit nachgeht. Dabei ist es irrelevant, ob er als Unternehmensvertreter, Gewerkschaftsfunktionär oder Parteimitarbeiter Einkünfte erwirbt.
Gleichzeitig aber stellen die vorhandenen Regelungen auch eine Entmündigung des Souveräns dar. Denken wir das Abgeordnetenmandat als Wählervertretung konsequent, so ist es weder Aufgabe des Gesetzgebers noch der Justiz, darüber zu entscheiden, ob und welche Tätigkeiten ein Abgeordneter neben seinem Parlamentsmandat wahrnimmt. In einer funktionierenden Demokratie kann die Entscheidung darüber ausschließlich beim Wähler, nicht aber bei anderen Instanzen liegen.
Konkret bedeutet dieses: Unabhängig davon, wie eine Diätenregelung auch immer getroffen wird, muss der Abgeordnete uneingeschränkt jedes Recht haben, Gelder von Quellen außerhalb der Diät erhalten zu können. In der Sache ist es kein Unterschied, ob ein Abgeordneter von seiner Partei Zuwendungen erhält, ob er dieses als Gewerkschaftsfunktionär bekommt oder ob ein Wirtschaftsunternehmen ihm solche zukommen lässt. Das Ziel all dieser Zuwendungen ist immer, über den Abgeordneten Einfluss für die eigenen Sache zu gewinnen. Gleiches gilt aber auch für die immaterielle Sicherung der Abgeordnetenexistenz über Gesetzesentscheidungen, die gedachte oder tatsächliche Wählergruppen bedienen und damit zur Wiederwahl des Abgeordneten veranlassen sollen.
Zu lösen ist dieser Zielkonflikt nur über zwei mögliche Wege:
Die Abgeordnetenfinanzierung erfolgt über das unter Pt.1 aufgezeigte Modell,
oder
Die Abgeordnetentätigkeit ist mit absoluter und uneingeschränkter, finanzieller Transparenz verknüpft. Das bedeutet, der Abgeordnete hat jedwedes Recht, Zuwendungen von wem auch immer anzunehmen – er ist jedoch zwingend verpflichtet, hierbei selbst Kleinstbeträge in Herkunft, Höhe und steuerlicher Anrechnung ständig zu veröffentlichen. Dadurch erhält der Wähler als Souverän die notwendigen Informationen um darüber zu entscheiden, ob der dem entsprechenden Abgeordneten künftig sein Vertrauen schenken will. Es ist dann Sache des Souveräns darüber zu entscheiden, ob er auch künftig von jemandem vertreten werden will, der auf der Payroll einer Partei, einer außerparlamentarischen Lobbygroup oder einem Wirtschaftsunternehmen steht.
Es dürfte außerfragestehen, dass eine solche Vorgehensweise dem parlamentarischen Repräsentationsgedanken weitaus eher entspricht als jedweder Versuch, bestimmte Handlungen eines Abgeordneten durch Verrechtlichung zu verunmöglichen mit der letztlich unvermeidbaren Folge, entsprechende Gesetzgebungen ständig erweitern und ergänzen zu müssen und damit den undemokratischen Prozess der Verbürokratisierung des Abgeordnetenmandats unvermindert fortzusetzen.
HH, 29. Juli 2021
Spahn