Ami-Bashing ist eine Lieblingsbeschäftigung der Deutschen. Angefangen bei den alltäglichen, fast immer ohne konkreten Inhalt vorgetragenen Anti-USA-Comments in den häufig asozialen „sozialen Netzwerken“ wie Facebook & Co, über die Anti-TTIP-Propaganda ohne auch nur eine Zeile des am Ende zu beurteilenden Vertragstextes zu kennen, bis hin zu den wie aus einer anderen Realität geschöpften schein-satirischen „Anstalts“-Attacken des mit Zwangsabgaben finanzierten Staatsfernsehens durchzieht der Anti-Amerikanismus unsere Gegenwart. Eingeräumt: Niemand sollte verkennen, dass die Vereinigten Staaten von (Nord)Amerika weltweit vorrangig ihre eigenen Interessen vertreten. Eingeräumt auch, dass die damit verbundenen Vorgehensweisen nicht zwangsläufig den Wunschbildern einer gerechten, auf Gleichheit und Brüderlichkeit beruhenden Idealvorstellung des edlen Menschen entsprechen. Nicht zuletzt eingeräumt sogar, dass mehr noch als die Irrungen und Wirrungen US-amerikanischer Innenpolitik die Außenpolitik der westlichen Führungsmacht immer wieder geprägt wird von eklatanten Fehleinschätzungen und davon, den gleich aus welchen Gründen begonnenen, regionalen Aktionismus in kaum einem Falle tatsächlich bis zum notwendigen Ende durchgehalten zu haben.
Trotz all dieser Mängel, die man den USA zu Recht vorwerfen kann und die auch künftig den Stoff liefern werden, in der US-Wirtschaft das Konstrukt einer kleinen Finanzoligarchie zu sehen, die fast schon paranoid erscheinende Sammelwut mancher US-Sicherheitsinstitutionen als demokratiefeindlich und menschenverachtend zu interpretieren und nicht zuletzt den US-Interventionismus als permanenten Verstoß gegen das Theoriemodell eines von gleichberechtigten, dem Gemeinwohl verpflichteten Eliten getragenen Völkerrechts zu betrachten, sollten gerade die Deutschen sich darauf besinnen, dass sie ohne die so skeptisch, ja häufig schon feindlich betrachteten Vereinigten Staaten heute nicht das wären, was sie sind. Und dass das, was sie wären, zumindest eines nicht beinhaltete – nämlich das unwidersprochene Recht, selbst den wichtigsten Verbündeten zu verteufeln und als Hauptverantwortlichen allen Übels dieser Welt öffentlich und dennoch ohne persönliche Konsequenzen an den Pranger stellen zu können.
Ein Blick zurück
Mir ist bewusst, dass allein die beiden vorangegangenen Absätze bei vielen Lesern gleich einem Stachelschwein pawlowsk sämtliche Abwehrmechanismen haben hochstellen lassen und einige dieser mit kleinen, gemeinen Widerhaken versehenen Stacheln sich bereits im Anflug auf den Autoren befinden. Mir ist auch bewusst, dass dem gestandenen Anti-Amerikaner kein Argument gerecht sein wird, welches auch nur ansatzweise dazu beitragen könnte, seine Position zu überdenken. Allen anderen allerdings seien im Nachfolgenden einige Dinge in Erinnerung gerufen, die am Ende vielleicht doch ein wenig dazu beitragen mögen, die Rolle der USA nicht nur mit weniger Schaum vor dem Munde, sondern insgesamt mit etwas mehr Nüchternheit zu betrachten.
Schauen wir, um das ambivalente Verhältnis zwischen den USA und Europa und hierbei insbesondere Deutschland zu verstehen, ein wenig zurück. Denn wie alles in der Politik sind die Ursachen aktuellen Geschehens vielschichtig und haben eine lange, oft auch widersprüchliche Vorgeschichte.
Die USA und das Vereinigte Königreich
Wenn wir von den USA sprechen, dann meinen wir damit heute einen Staat, der erst nach 1865 wirklich als solcher langsam zu seiner Rolle in der Welt gefunden hat. Trotz Gründungsakt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert und der Implementierung einer der ersten, wirklich als solche zu bezeichnenden Demokratien der Neuzeit blieben die Neuenglandstaaten lange ein europäisches Kolonialreich, das nach und nach erst die Ländereien der Nachkommen einer frühen menschlichen Besiedlungswelle unterwarf und anschließend ähnlich kolonial geprägten Nachbarn wie Mexiko oder europäischen Imperien wie Russland, Spanien und der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien deren Erwerbungen abnahm. Diese Landnahme erfolgte oftmals mit Waffengewalt, häufig durch etwas, das man heute als hybriden Krieg bezeichnen würde, und in einem Falle, der den damaligen Veräußerern heute besonders schmerzhaft in Erinnerung ist, als klassischer Yankee-Deal Land gegen Geld.
Doch erst mit dem Sieg der industriell-dynamischen Neuenglandstaaten über den Selbstbestimmungsanspruch der feudal-agrarisch geprägten Republiken im Südosten der nordamerikanischen Landmasse entstand ab 1865 etwas, aus dem sich in den kommenden einhundert Jahren der erste wirkliche Global Player der Weltpolitik entwickeln sollte. Entscheidend für diese Entwicklung war auf der einen Seite die staatlich-gesellschaftliche Konsolidierung, die den nordwesteuropäisch geprägten Kolonialistenkindern trotz der Verwerfungen des Sezessionskrieges gelang, auf der anderen Seite ihre auch aus dieser Konsolidierung erwachsende wirtschaftlich-innovative Prosperität. Wer heute einen Blick auf die weltwirtschaftliche Dynamik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wirft, der wird feststellen, dass die maßgeblich auch von deutschen Exilanten geprägte, US-amerikanische Entwicklung eines libertären Kapitalismus vorrangig zu Lasten der früheren Kolonialmacht ging. War das Vereinigte Königreich um 1850 noch die einzige Welthandelsmacht, die mit ihrer industriellen Leistungsfähigkeit weltweit Kapital kumulierte, so sah dieses schon um 1900 deutlich anders aus.
Deutschland als die europäischen USA
Doch die Welthandels- und Militärsupermacht des 19. Jahrhunderts, die von einer kleinen, Europa vorgelagerten Insel tatsächlich ein Imperium beherrschte, in dem die Sonne niemals unterging, wurde nicht nur von den abtrünnigen Söhnen im transatlantischen Amerika in Bedrängnis gebracht. Denn in der alten Welt selbst hatte sich zeitgleich etwas getan, das in fast jeder Hinsicht mit der nordamerikanischen Entwicklung vergleichbar ist. Auf dem kargen Boden Brandenburgs war auf den Trümmern des in Folge des ersten wirklichen Weltkriegs nach 1648 darniederliegenden Zentraleuropas mit militärisch-organisatorischem Geschick und einigem Kriegsglück ebenso wie mit einer intelligenten Einwanderungspolitik als Preußen eine neue Regionalmacht auf überwiegend deutschem Boden entstanden. Dieser Regionalmacht gelang es dank der Politik ihres Hauptakteurs Otto von Bismarck in nur sieben Jahren, aus dem postnapoleonischen Flickenteppich deutscher Klein- und Kleinstreiche über drei innereuropäische Waffengänge mit dem wiedergeborenen Deutschen Reich ein nicht weniger dynamisches Gebilde wie die jungen USA zu schaffen, dessen wirtschaftliche und geistige Liberalität das britische Empire nicht minder bedrängen sollte.
Um 1910 hatten die beiden jungen und dynamischen Nationen jede für sich das Empire an Wirtschaftskraft eingeholt. Lag Deutschlands Anteil an der Weltindustrieproduktion 1870 bei 13,2 und der des Empires bei 31,8 Prozent, so sank letzterer bis 1913 auf 14,0 und war von Deutschland mit einem 15,7 Prozentanteil überholt worden. Dabei gingen Englands Industrieexporte mittlerweile zu rund 40 Prozent in die eigenen Kolonien, von denen jedoch Kanada bereits in den USA seinen wichtigsten Wirtschaftspartner gefunden hatte, während Indien zu 64,2 und Australien bei rasant sinkender Tendenz zu 51,3 Prozent von britischen Importen abhingen. In der Chemieindustrie war Deutschland mit einem Umsatz von 2,4 Milliarden Mark vor den USA mit 1,5 Milliarden Mark Weltmarktführer. Bei der Weltstahlproduktion hatte das Reich mit einer Produktionsmenge von 17,8 Megatonnen hinter den USA mit 31 mt das Empire mit nur noch 7,8 mt auf Platz Drei verwiesen. Das Vereinigte Königsreich hatte sich von der weltweit führenden Industrienation des 19. Jahrhunderts zum Baumwollveredler und allerdings wichtigsten Dienstleister der Welt gewandelt. Es schöpfte einen Großteil seiner Einkünfte aus dem von ihm monopolmäßig betriebenen, weltweiten Gütertransport und der darauf basierenden Versicherungswirtschaft mit dem zwangsläufigen Ableger der Londoner „City“ als Weltfinanzmetropole. Dennoch verzeichnete das Königreich allein 1913 ein Außenhandelsdefizit von rund 200 Millionen Pfund – ein Betrag, der in seiner Höhe mehr als einem Zehntel des Volkseinkommens entsprach und der unter anderem dadurch begründet war, dass das Inselreich in Folge seiner frühen Industrialisierung kaum noch über eigene Landwirtschaft verfügte und drei Viertel seines Lebensmittelbedarfs im Ausland decken musste.
Deutschland, Britannien und Frankreich
In dieser für das Empire der deutschstämmigen Queen Victoria zunehmend prekären Situation entwickelte das kleindeutsche Kaiserreich neben der wirtschaftlichen Bedrohung durch eine innovative und prosperierende Wirtschaft den aus zeitgenössischer, eurozentrischer Sicht in jeder Hinsicht legitimen Anspruch, seinen Anteil an der Aufteilung der Welt haben zu wollen. Mit einem global verstreuten Sammelsurium von Schutzgebieten – wobei das Reich insbesondere im Pazifik in die unmittelbare Konkurrenz zu den USA trat – ging die Notwendigkeit einher, über eine leistungsfähige Hochseeflotte zu verfügen. Damit nun sah das niedergehende Empire auch sein letztes Monopol des Welttransportwesens und damit seine dominierende Rolle als Weltfinanzplatz aktiv gefährdet, und es kam zu einer Phase des Wettrüstens, welches insbesondere die britischen Kassen weiter leerte.
Um an dieser Stelle mit einem sorgsam gepflegten Vorurteil aufzuräumen: Es war nicht das Deutsche Reich, das kriegslüstern jede verfügbare Mark in das Militär steckte. Zwar steigerte das Reich seine Pro-Kopf-Ausgaben für die Marine zwischen 1905 und 1913 von 3,80 auf 6,90 Reichsmark jährlich – im gleichen Zeitraum aber erhöhte das Empire seine Marineinvestitionen von 15,70 auf 20,50 Reichsmark je Bürger. Während so die Briten die Reichsmarine mit hohem Mitteleinsatz zu toppen suchten, übernahmen die französischen Partner der Entente cordiale diese Aufgabe im Heer. Stiegen Frankreichs Ausgaben für die Landstreitmacht im genannten Zeitraum von 15,30 auf 19,30 Reichsmark, investierte das Reich hierfür 1905 11,50 und 1913 14,90 Reichsmark je Bürger. Zahlen, die verdeutlichen, dass das Reich sich kaum durch Großbritannien, dafür aber maßgeblich durch Frankreich bedroht sah – angesichts der Tatsache, dass das Französische Heer, abgesehen von kolonialen Aufgaben, tatsächlich nur gegen Spanien, Italien oder Deutschland sinnvoll einzusetzen war, nicht ohne Grund.
Krieg und Kriegsfolgen
Durch eine Verkettung unterschiedlichster Umstände, zu denen Deutschlands Nibelungentreue zum 1866 ausgedeutschen Habsburger Reich ebenso gehörte wie russische Imperialismusziele auf dem Balkan, schlidderte Europa im August 1914 in seine Selbstvernichtung. Ungelegen kam dieses erst einmal weder den Franzosen, die darauf hofften, die 1648 als Kriegsbeute eingeheimsten und 1871 verlorenen, seit den Straßburger Eiden des Jahres 842 reichsdeutschen Rheinprovinzen im Elsaß und in Lothringen zurück zu holen, noch den Engländern, die in der Möglichkeit, die deutsche Marine auszuschalten und das Reich insgesamt zu schwächen, eine Chance erblickten, zu alter imperialer und wirtschaftlicher Größe zurück zu kehren.
Es sollte anders kommen. Allein waren Frankreich und Großbritannien im „Völkerkrieg“ 1914/15 nicht in der Lage, Deutschland zu bezwingen. Und so zogen die Briten nicht ohne Finesse die USA als Alliierte in den Krieg – welche darin nicht nur eine Basis für gute Geschäfte mit der ehemaligen Kolonialmacht erblickten, sondern auch die Chance erkannten, mit der Niederwerfung Deutschlands die alleinige Spitzenposition im Welthandel zu sichern.
Immer noch der Monroe-Doktrin verpflichtet, wonach die USA sich eigentlich nur um sich selbst und um Vorgänge vor ihrer Haustür zu kümmern hätten, zogen sich die Amerikaner nach der Zerschlagung des Habsburgischen wie des Osmanischen und der Abstrafung des Deutschen Reichs aus Europa zurück. Sie überließen den Umgang mit den maßgeblich mit ihrer Hilfe militärisch geschlagenen Deutschen jenen, die mit dem Versailler Friedensdiktat alles daran setzten, aus dem prosperierenden Konkurrenten von Gestern etwas zu machen, das man heute als Schwellenland bezeichnen würde. Sie waren dabei nicht ohne Erfolg. Die im späten Kaiserreich maßgebliche, bürgerlich-liberale Elite wurde seit den zwanziger Jahren durch ein kleinbürgerlich-sozialistisches Proletariat ersetzt, welches daran ging, in Deutschland den Mief zu erzeugen, welchen das heute noch prägende Kleinbürgertum in geschickter Ablenkung dem Kaiserreich zu unterstellen sucht. Mit einem nicht weniger miefigen, eingebürgerten Österreicher marschierte die gedemütigte, ihrer Eliten beraubte Nation los, die Schmach von Versailles zu revidieren – und sie war dabei militärisch derart erfolgreich, dass die Zukunft der europäischen Alliierten wie gut 25 Jahre zuvor erneut vom aktiven Einsatz der USA abhing.
Am Ende des nun von Deutschland initiierten Irrsinns war vom Reich das übrig geblieben, was der Versailler Vertrag nicht hatte erreichen können: Das einst neben den USA fortschrittlichste und erfolgreichste Land auf diesem Planeten war auf den Status eines Hungerleiders zurückgefallen.
Aus 1918 gelernt
Anders aber als 1918 hatten die US-Amerikaner aus diesem zweiten Waffengang der europäischen Selbstzerstörung gelernt. Die Erkenntnis, dass der Versuch, eine dynamische Nation durch Demütigung und eine dennoch im Sinne Machiavellis nur halbherzige Niederwerfung dauerhaft ihres Selbstverständnisses zu berauben, in eine Weltkatastrophe geführt hatte, ließ die USA Monroe vergessen. Befördert wurde die amerikanische Entscheidung, die Zukunft Europas dieses Mal nicht den Europäern zu überlassen, nicht nur durch deren Nachkriegsversagen 1918 – welches auch ein Versagen der USA gewesen ist – sondern ebenso dadurch, dass die USA durch ihre umfassende Unterstützung des totalitären Sowjetalliierten einen gierigen Wolf gefüttert hatten, der sich mit seinem Vordringen bis an die Weichsel nicht zufrieden geben wollte. Längst im Frieden usurpierte Generalissimus Stalin mit dem, was man heute als hybriden Krieg bezeichnet, die Länder Mittelosteuropas. Erst als Stalin ansetzte, mit Berlin den östlichsten Stützpunkt der Westalliierten übernehmen zu wollen, hielten die USA dagegen. In Europa fiel das, was Churchill als Vertreter der Siegermacht England, die sich dennoch als Kriegsverlierer entpuppen sollte, treffend als „Eisernen Vorhang“ bezeichnete.
Die USA agierten nun erstmals im Sinne einer Globalstrategie „vernünftig“. Sie bauten das westliche Restdeutschland auf und sicherten mit massiver Militärpräsenz ihren europäischen Einfluss.
Was wäre wenn …
Was wohl wäre geschehen, wenn sich die Nordamerikaner 1945 wie 1918 sang- und klanglos aus Europa zurückgezogen hätten? Was wäre geschehen, wenn die USA nicht die Elbe gegen das Sowjetimperium gesichert hätten?
Mit dem heute wieder aktuellen KGB-Muster, nach dem, von Moskau gesteuert, kleine, schlagkräftige Einheiten schwache Staaten im Handstreich übernehmen, wurden bereits 1944 das gegenüber der UdSSR neutrale Bulgarien, über das „Lubliner Komitee“ bis 1947 Polen, mit dem Februarputsch 1948 die Tschechoslowakei und durch die gewaltsame Machtübernahme durch die Partidul Muncitoresc ebenfalls 1948 Rumänien unter die Sowjethegemonie gebracht. Ein ähnlicher Versuch der griechischen Kommunisten führte in einen verheerenden Bürgerkrieg, der nur deshalb nicht ein vergleichbares Ergebnis hatte, weil die Amerikaner 1947 aktiv auf Seiten der bürgerlichen Kräfte eingriffen.
Weder das von seiner Hauptstadt abgetrennte Westdeutschland noch das ohnehin für totalitäre Vorstellungen anfällige Italien hätten dem KGB-Konzept ernsthaft etwas entgegen setzen können. Selbst das am Boden liegende Frankreich, dessen legitime Regierung im Juni 1940 dem Waffenstillstand nach deutschen Bedingungen hatte zustimmen müssen, hätte in dieser Phase kaum ernsthaft einer kommunistischen Machtusurpation widerstehen können. Charles de Gaulle, der 1944 eine völkerrechtlich illegitime Gegenregierung auf britischem Boden installiert hatte, wäre ohne amerikanische Rückendeckung kaum in der Lage gewesen, einen Staatsstreich der moskautreuen Parti communiste français zu verhindern. Bestenfalls hätte dieser dennoch weitsichtige Mann sein Land in einen Bürgerkrieg führen können. Und selbst das britische Empire, das sich in diesem zweiten Waffengang gegen den früheren Konkurrenten Deutschland abschließend derart zerschlissen hatte, dass es, nunmehr auf den Status einer Regionalmacht zurückgestuft, sein Imperium im Zeitraffertempo zerfallen sehen musste, wäre überaus anfällig gewesen für Moskau-gesteuerte Usurpationsversuche.
Es führt an der Erkenntnis kein Weg vorbei: Für das als Staat nicht mehr existente Deutschland gab es nach 1945 nur die Alternativen, die einerseits die DDR und andererseits die BRD gehen mussten. Ohne die USA hätte der stalinsche Traum, sein Imperium bis an den Atlantik auszudehnen, beste Chancen gehabt, noch vor 1950 Wirklichkeit zu werden. Es war nicht die Widerstandskraft der durch die Selbstzerstörung am Boden liegenden Westeuropäer, die sie davor bewahrte, Teil des Sowjetreichs zu werden – es war einzig und allein der nunmehr offenkundig deklarierte Weltmachtanspruch der US-Amerikaner, der nicht zuletzt aus dem Willen der Selbsterhaltung einer für die eigene Prosperität unverzichtbaren, freiheitlichen Markt- und der damit untrennbar verbundenen Idee einer pluralistischen Gesellschaftsordnung das kleine Westeuropa zu einem Bollwerk gegen die Moskauer Expansionsgelüste machte.
Der scheinbare Sieg über den Staatsmonopolismus
Die Europäische Union – diese Erkenntnis sollte nicht verdrängt werden – ist so auch ein Instrument der USA gewesen, die Idee des wirtschaftsliberalen Marktes gegen den innovationsunfähigen Staatsmonopolismus sowjetischer Prägung durchzusetzen. 1989/90 sollte diese Idee ihren scheinbar unwiderruflichen Sieg über die marxistisch-leninistische Bedrohung feiern. Die Sowjetunion fiel in sich zusammen – und es darf niemanden wundern, dass die aus der russischen Hegemonie entronnenen Völker Mittelosteuropas wie bislang zuletzt die Ukraine alles daran setzten, über EU und NATO unter das Dach derjenigen Supermacht zu schlüpfen, die einzig und allein in der Lage war, den Hegemonialanspruch Russlands abzuwehren.
Der KGB und seine Neben- und Nachfolgeorganisationen allerdings hatte den Amerikanern diese Rolle nie verziehen und zu keinem Zeitpunkt vergessen, dass nach 1945 es ausschließlich die USA gewesen waren, die die weitere Westexpansion Russlands verhindert hatten. So war es letztlich konsequent, dass nach dem chaotischen Ausflug in ein unausgegorenes, marktwirtschaftliches Experiment unter dem einzig echten demokratischen Präsidenten Russlands namens Boris Jelzin die immer noch aktiven Kader über ihren geschulten Agenten Wladimir Putin nicht nur in Russland selbst ihr bis 1989 erprobtes Modell reinstallierten, sondern auch nach wie vor davon träumten, die Schmach von 1945 auszuputzen. Die Instrumentarien dafür hatten sie in der Schublade – und sie wussten diese wie zwischen 1944 und 1948 gezielt und effizient einzusetzen. Ob Transnistrien oder Abchasien, ob Krim oder Donbas – das erprobte Muster war weiterhin erfolgreich und installierte Moskau-abhängige Usurpatoren-“Republiken“, die als Stachel im Fleisch der nach Westen schauenden Völker die Brückenköpfe für die weitere Expansion bilden sollen. Für den KGB war – anders als für die traumwandlerischen Euro-Amerikaner – der Krieg 1989 nicht beendet. Er wurde neu strukturiert und nach ausgiebigem Studium der Schwächen westlicher Demokratien beharrlich fortgeführt.
Das imperiale Ziel nie aus den Augen verloren
Das Ziel steht seit den Tagen Stalins unverrückbar fest – und es wurde vom „Vordenker“ Alexander Dugin in ein in westlichen Augen abstruses, für den KGB jedoch Bibel-gleiches Manifest einer eurasischen Großmacht Russland gegossen. Alles, was seit der Machtübernahme Putins innen- wie außenpolitisch angegangen wurde, diente und dient diesem einen Ziel, die als derzeit einzig den eigenen Vormachtträumen hinderlich erkannte Großmacht jenseits des Atlantiks aus Europa zu verdrängen. Wohl wissend, dass ein Waffengang gegen die NATO und USA-EU nicht zu gewinnen ist und im Falle eines tatsächlichen Geschehens auch von Russland nur eine atomar verseuchte Wüste bliebe, wurde neben dem traditionellen Kriegsspielzeug der Generäle das Instrumentarium der Subversion durch Propaganda sowie durch Installation wie Unterstützung US-feindlicher Meinungsführer zur tragenden Säule des Krieges. Es nutzt jede Schwäche und jeden Fehltritt des transatlantischen Feindes erbarmungslos aus. Es instrumentalisierte das Vietnam-Engagement der USA ebenso wie alle späteren Interventionen der USA zur Zerstörung des Nimbus der Demokratie als vorgeblich ausschließliches Machtinstrument eines ständig behaupteten US-Weltherrschaftsanspruchs. Die Völker Europas sollen ihrer Schutzmacht und damit ihres mühsam erkämpften, politischen Pluralismus überdrüssig werden – und sie werden es.
Die „Querfront“ – jene im Gleichschritt marschierende Phalanx aus linken Systemüberwindern und rechten Totalitaristen – bildet mit Gruppierungen wie der linken deutschen PdL und der rechten französischen Front National ebenso wie mit bestenfalls naiven Unterstützern wie dem früheren deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder und vielleicht nur nützlichen Idioten wie jenen Pseudo-Satirikern, die mit Zwangsabgaben finanziert den öffentlich-rechtlichen Anti-Amerikanismus schüren dürfen, jenen Bodensatz, auf dem Russland das feindliche Bollwerk EU von Innen zu zerstören sucht. Weltweit köchelnde Krisenherde und nicht zuletzt die durch diese veranlassten Flüchtlingsstöme sind selbst dann, wenn sie nicht in der KGB-Ideenschmiede ersonnen worden sein sollten, perfekte, flankierende Instrumente, um die Leuchtkraft westlicher Demokratie durch das Scheitern an seinem eigenen Anspruch zum Erliegen zu bringen.
Wenn selbst führende Politiker wie Sigmar Gabriel und Nicolas Sarkozy ihren Kotau gegenüber dem Kremlführer öffentlich zelebrieren und damit an den Fundamenten dessen sägen, was nach 1945 mühsam und tatsächlich nur dank US-amerikanischer Unterstützung in Europa entstehen konnte, dann steht dem Siegeszug des stalinschen Imperialismus kaum noch etwas entgegen. Ohne den Schulterschluss mit den USA ist Europa heute wie vor siebzig Jahren dem Hegemonieanspruch des selbst auf tönernen Füßen stehenden, russischen Selbstverständnisses wehrlos ausgeliefert. Wer dieses nicht erkennen will, ist entweder blind oder selbst der eigenen Freiheit überdrüssig.
Niemand erwartet, dass sich die Europäer dem transatlantischen Partner widerspruchslos unterwerfen und in ewiger Dankbarkeit auf den Knien robben. Aber jeder Europäer sollte sich bewusst machen, dass es heute ohne die USA weder ein in Freiheit geeintes Deutschland noch ein Europa freier Völker geben würde.
Und um es am Ende noch einmal ganz persönlich zu machen: Ich sehe und erkenne in der Politik der USA zahllose Fehler und Idiotien, die mich manchmal an den Rand der Verzweiflung bringen können. Aber ich weiß auch, dass ich ohne die USA weder die vergangenen sechs Jahrzehnte ein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben hätte führen noch heute diese Zeilen hätte schreiben können. Ich fühle mich den USA deshalb nicht zu Dank verpflichtet. Aber ich weiß um meiner und meiner Kinder Zukunft willen, dass ich ohne die USA morgen nicht mehr in einem Land leben werde, das mir trotz aller Fehler und Mängel alle Möglichkeiten bis hin zum selbstzerstörisch zelebrierten Defätismus bietet.
Nicht aus Dankbarkeit oder Unterwerfung darf das immer wieder naive Deutschland, darf Europa die Bindung zu den USA niemals aufgeben – es ist der Selbsterhaltungstrieb eines trotz seiner Mängel bis heute niemals besser dagewesenen, politischen Gesellschaftsmodells, das uns selbst dann an die USA bindet, wenn diese auf Grund eigener Niedergangsängste wie im Falle VW einen gegen Europa gerichteten Wirtschaftskrieg führen. Demokratisch gewählte Fehlbesetzungen sind endlich – totalitäre Diktaturen aber degenerieren Generationen. Meine westdeutsche Generation hatte das Glück, in einer solchen nicht leben zu müssen. Der Generation unserer Kinder wünsche ich nichts anderes.
©2015-1030 spahn/fogep
erstveröffentlicht am 2. und 3. November 2015 bei „Tichys Einblick“