Putin – Mensch und Macht – Psychogramm eines Straßenjungen

Als ich in den frühen Neunzigern erstmals einen humanitären Hilfskonvoi von Hamburg nach Sankt Petersburg begleitete, gab es für mich einiges zu lernen. Zu lernen darüber, wie Russen ticken – und wie man mit ihnen auskommen kann. Neben zahlreichen anderen Episoden ist mir das folgende Geschehen gut in Erinnerung geblieben.

Eine Episode aus Sankt Petersburg

Als wir nach langer Fahrt durch den nordischen Winter von Helsinki aus in Sankt Petersburg angekommen waren, gehörte es zu den ersten Aufgaben unseres Konvoiführers, sich nach dem Chef der örtlichen Stadtteilgang zu erkundigen. Denn Sankt Petersburg, so erfuhr ich, war aufgeteilt in Claims, die jeweils von Straßengangs aus überwiegend jüngeren Männern beherrscht wurden. Meistens endeten die einzelnen Hoheitsgebiete an natürlichen Hindernissen wie den zahlreichen Kanälen. Manche der Gangs beherrschten jedoch auch größere Stadtgebiete.
Diese Gangs zeichnete ein in wenigen Worten zusammengefasster Ehrenkodex aus. Alles, was sich in ihrem Hoheitsgebiet befand, konnte dort seinen alltäglichen Geschäften nachgehen, solange der Alleinvertretungsanspruch der Gang anerkannt und sie für ihre Dienste angemessen bezahlt wurde. Es war ein Geschäft auf Gegenseitigkeit.
In unserem spezifischen Falle war der zu bezahlende Dienst ein recht einfacher: Unser aus drei Lastzügen und einem Kleinlaster bestehender Konvoi sollte im öffentlichen Straßenland geparkt werden können und sich an den nächsten Morgenden samt wertvoller Ladung jeweils noch im dem Zustand befinden, in dem er am Vorabend abgestellt worden war. Sich dazu an die örtliche Polizei zu wenden, wäre ein sinnloses Unterfangen gewesen. Denn diese wusste aufgrund jahrelanger, vertrauensvoller Zusammenarbeit genau, wer allein in dem System des gegenseitigen Gebens und Nehmens für derartige Garantien zuständig war.
Über die Hotelrezeption war die Kontaktaufnahme schnell zu organisieren, und nach einer friedlich-freundlichen Einigung über die Höhe der für die benötigte Sicherheitsleistung aufzubringenden Summe war das Geschäft unter Dach und Fach. Und es war gut getan. Denn nicht nur wurde uns ein Stellplatz angewiesen, der, wie man uns wissen ließ, sakrosankt und damit auch ohne Aufpasser vor jedwedem Diebstahl sicher sei, auch fanden wir an den nächsten Tagen die Fahrzeuge tatsächlich in unberührtem Zustand, mit unbeschädigter Ladung und unentleerten Tanks wieder.
Anders erging es einem offenbar etwas unerfahrenen Hotelgast, der seinen leeren Sattelschlepper ohne Agreement mit der örtlichen Gang abgestellt hatte. Zwar konnte er sich glücklich schätzen, dass sein Fahrzeug am nächsten Morgen noch im Wesentlichen dort stand, wo er es unbedarft abgestellt hatte. Zur Wiederherstellung der Fahrtüchtigkeit bedurfte es allerdings der Einschaltung eines örtlichen Kfz-Mechanikers, der rein zufällig über all die Bremskabel und Utensilien verfügte, die dem Sattelschlepper über Nacht abhanden gekommen waren. Natürlich ließ sich dieser Mechaniker seine Leistung ebenso angemessen honorieren wie die unvermeidbare Auffüllung des über Nacht entleerten Tanks – schließlich waren entsprechende Zubehörteile westeuropäischen Kraftfahrzeugbaus ebenso wie sauberes, reines Diesel im Russland der frühen Neunziger nicht an jeder Straßenecke aufzutreiben …

Der Straßenjunge aus Leningrad

Ich erzähle das, weil sich daraus einiges lernen lässt über den starken Mann im Kreml. Wladimir Putin ist ein Kind dieser Stadt Sankt Petersburg, die zu seiner Jugend Leningrad hieß. Wobei es nicht wirklich auf die Stadt ankommt. Denn diese Strukturen fanden sich landesweit. Auch wäre die Vorstellung falsch, dieses Straßengang-Modell zeitlich auf die Phase nach dem Untergang der Sowjetunion verorten zu wollen. Es funktionierte bereits zuvor – und es funktioniert bis heute.
Putin ist mit diesem System, ist in diesem System aufgewachsen. Er kennt es und hat es sich zu Eigen gemacht – musste es sich zu Eigen machen, um nach oben zu kommen. Er wuchs auf in den kleinen, engen Höfen der armen Leute. Dort lernte er, sich im wahrsten Sinne des Wortes durchzuschlagen.
Heute ist er selbst der Chef einer Straßengang. Der mächtigsten Straßengang. Zumindest in Russland – vorerst.
Putins Straßengang ist das, was zu Sowjetzeiten unter der Bezeichnung KGB organisiert war. Der KGB war maßgeblich daran beteiligt, ihn zum Chef zu machen. Wenn die Chefs von Straßengangs so etwas haben wie eine Familie, dann ist Putins Familie der Geheimdienst.
Als Putin nach Moskau ging, hatte er das in Leningrad erlernte Modell ebenso mitgenommen wie die wichtigsten Freunde aus seiner Leningrader Gang. Denn er konnte und kann sich darauf verlassen, dass diese Freunde aus frühen Tagen niemals etwas gegen den ungekrönten König der Gang unternehmen werden.
Die im Westen eine Zeit lang gehegte Hoffnung, der smarte und so westlich wirkende Medwedjew könnte sich zum ernstzunehmenden Gegner Putins aufschwingen, war insofern tatsächlich niemals etwas anderes als Wunschdenken, das an den Wirklichkeiten Russlands meilenweit vorbei ging.
Denn die Straßengangs, die ein fester Bestandteil russischer Gegenwartskultur sind, funktionieren nach simplen Regeln.

Es kann nur eine(n) geben

Die erste Regel lautet: Wer immer der Boss ist, er hat das absolute Sagen. Wer gegen ihn aufmuckt, hat jeden existentiellen Anspruch verwirkt.

Die zweite Regel lautet: Innerhalb des beanspruchten Territoriums kann es nur eine Gang geben, die alles regelt und die über alles die Kontrolle hat. Gibt es jenseits des beanspruchten Gebietes eine weitere Gang, die sich als unüberwindbar erweist, muss man sich mit dieser arrangieren. Dabei gilt: Jedwede Vereinbarung ist nur so lange als bindend zu betrachten, wie die jeweils andere Seite ihre eigene Stärke aufrecht erhalten kann. Denn gleichzeitig gilt auch: Jede mögliche Schwäche der Konkurrenz, die grundsätzlich immer auch als Gegner wahrgenommen wird, ist auszunutzen, um den eigenen Gebietsanspruch zu erweitern.

Siegen oder untergehen

Daraus folgt die dritte Regel: Wer sich mit der Gang anlegt, ist zum Sieg gezwungen. Erringt er diesen nicht, wird er vernichtet. Im Zweifel auch physisch. Nicht nur Chodorkowski und Beresowski, deren Gangs sich den Leningradern nicht unterwerfen wollten, mussten dieses leidvoll erfahren.
Denkbar ist jedoch, sich aus mehr oder minder freien Stücken als schwächere Straßengang der mächtigeren anzuschließen. Was bedeutet, dass man sich deren Boss vorbehaltlos unterwirft. Und zu keinem Zeitpunkt eigene Ambitionen der Machtübernahme erkennen lässt.

Keine unkalkulierbaren Risiken

Neben diesen drei Grundregeln existiert auch eine ebenso ungeschriebene vierte, die mit Blick auf Putin nicht unbedeutend ist. Sie lautet: Bevor Du Dich mit einer konkurrierenden Bande anlegst, musst Du sicher sein, dass Du dabei weder Deine Position oder Dein eigenes Gebiet gefährdest noch Deine Einnahmequellen verlierst. Denn so martialisch die Gangsterbosse auftreten und wirken mögen – sie wissen sehr genau einzuschätzen, worauf ihre Macht basiert und dass sie die Kühe, die sie melken, in ihrer Herde halten müssen.
Die Bosse der Straßengangs sind keine Selbstmörder. Wobei sie im äußersten Falle auch nicht vor irrationalen Handlungen zurückschrecken. Das allerdings geschieht nur dann, wenn ihr ureigenstes Territorium verloren zu gehen droht. Bis dahin aber sind sie immer auch Spieler, die ihre Karten dann ausspielen, wenn ihnen dieses einen Nutzen zu bringen scheint. Und – wie jeder Spieler – sind sie begnadete Bluffer. Mit unbewegter Miene demonstrieren sie Stärke, die das Gegenüber gefügig machen soll.
Selten wurde dieses deutlicher als bei jener Szene des Jahres 2007, als Putin in seiner Sommerresidenz die ihn besuchende Angela Merkel mit seiner Labrador-Hündin konfrontierte. Er wusste ganz genau: Seitdem Merkel von einem Hund gebissen worden war, fürchtete sie sich vor diesen, bat vor jeder Reise den künftigen Gastgeber, Hunde von ihr fern zu halten.
So verunsichert ein Leningrader Straßenjunge nach Außen ungewollt und unbefangen sein Gegenüber, demonstriert Stärke und scheinbare Überlegenheit. Und doch ist es nichts anderes als ein wohl kalkulierter Bluff. Was tatsächlich hinter diesem Bluff steht – das wird selbstverständlich niemals und niemandem verraten – auch und gerade nicht der eigenen Gang. Denn der Boss der Straßengang lebt von seinem Nimbus der Überlegenheit. Büßt er diesen ein, kann es mit ihm schnell vorbei sein.
Sein Elixier sind Anerkennung und Unterwerfung. Damit ersetzt er Freundschaft, zu der er nicht fähig ist, weil er sie in seiner Sozialisation nicht erfahren konnte.

Herzlichen Dank an Heiko Sakurai für die Bereitstellung dieser Karikatur
Herzlichen Dank an Heiko Sakurai für die Bereitstellung dieser Karikatur

Putins Straßengang beherrscht Eurasien

Putin, der Straßenjunge aus Leningrad, lebt diese Regeln. Nur ist sein Viertel nicht begrenzt von Newa und Fontanka, sondern von Eismeer und Pazifik, Schwarzem Meer und Ostsee. An den Methoden hat das nichts geändert. Wer seinen Schutz sucht, ihn anerkennt und bezahlt, der kann getrost sein Ding machen. Die meisten Oligarchen hatten das schnell begriffen. Wer nicht, der gehörte zur falschen Gang und wurde niedergemacht.
Wer in der Nachbarschaft eine schwächere Gang führt, darf sich ihm unterwerfen. Vorausgesetzt, er akzeptiert uneingeschränkt seinen Vormachtanspruch, bereitet ihm keine Probleme und funktioniert auf Anforderung. Der Weißrusse Lukaschenko spielt nach diesen Regeln. Der Ukrainer Yanukovych wollte nach diesen Regeln spielen – und versagte. So gönnt der oberste Bandenboss im Kreml ihm, dem Versager, als nützlichem Idioten noch einen letzten Auftritt und hält ihn als möglichen Kronzeugen im goldenen Käfig. Eine bedeutende Rolle allerdings wird er in der Gang nie wieder spielen.
Wer einmal zu Putins Gang gehört oder von ihm als ihr zugehörig gedacht wird, hat keinerlei Recht, sich einer anderen zuzuwenden. Den Herrschaftsanspruch seiner Gang hat er mit der von ihm 2011 offiziell ins Leben gerufenen Eurasischen Union festgeschrieben.
Es war der Fehler der Ukrainer, sich diesem Anspruch nicht zu unterwerfen. Für den Leningrader Straßenjungen, der sich mit nacktem Oberkörper in der Pose eines machtvollen Siegers gefällt weil sie für ihn sein Hochkämpfen aus den sozialen Niederungen der Mehrfamilienwohnung an die Spitze der Macht dokumentiert, war der Abfall der Ukraine in mehrfacher Hinsicht ein Desaster.
Putin, der wie alle Straßenjungen nach der Anerkennung durch die anderen Gangs fiebert, ließ sich von seinen Schutzbefohlenen mit Olympia die Arena bauen, die ihm ganz persönlich die internationale Bedeutung und Achtung schenken sollte, die ihm, dem mächtigsten Straßenjungen aller Zeiten, in seinem Selbstverständnis zusteht.

Das Versagen des Vasallen

Der Maidan und Yanukovych verhagelten ihm diese Anerkennung. Und mehr. Denn sie stellten ihn selbst als Bandenboss infrage. Boss ist nur, wer die uneingeschränkte Macht hat. Nach dessen Pfeife alle tanzen. Die Ukrainer tanzten nicht. Nicht mehr.
Es kam zu der Situation, in der europäische Diplomaten den Kontakt zu ihm aufnahmen um eine Lösung für die Krise zu finden. Es war ein Signal, das der Bandenboss zu würdigen wusste, auch wenn ihm dessen Ursache alles andere als angenehm war. So war denn auch die Lösung nicht uneingeschränkt in seinem Sinne – aber sie garantierte ihm Gesichtswahrung. Und die Chance, seinen Einfluss auf das Gebiet des kleinen Bandenunterbosses Yanukovych zu sichern. Die Nicht-Anerkennung dieser Vereinbarung durch den Maidan empfand der Bandenboss im Kreml als Verrat. Die Unfähigkeit der westlichen Verhandler, den Kompromiss durchzusetzen, als eklatantes Versagen und Schwäche. Und so tat der Bandenboss das, was Bandenbosse tun, wenn sie sich nicht nur verraten und in ihrer Ehre bedroht sehen, sondern auch die Gefahr wittern, es könnten an ihrer Macht Zweifel aufkommen: Er demonstrierte Macht. Und er demonstrierte sie nicht unkalkuliert und orientierungslos, sondern mit dem festen Ziel, das bislang nur locker angebundene Gebiet in sein Territorium aufzunehmen.

Keine adäquate Antwort

Das aber – und dieses verkennen die westeuropäischen und amerikanischen Diplomaten, Regierungschefs, Politiker und Politikberater – macht ihn berechenbar.
Putin pokert. Er pokert mit hohem Einsatz. Er kann das tun, weil er in seiner Hand das bessere Blatt wähnt. Und weil er gelernt hat, dass die Chefs der gegnerischen Gangs zwar die Klappe groß aufreißen, aber eine höllische Angst vor einem blauen Auge haben. Bevor sie es auf einen Bandenkrieg ankommen lassen, werden sie unter Absingen böser Beschimpfungen den Schwanz einklemmen. So sind sie für ihn, den großen Bandenboss Putin, letztlich alles Schwätzer ohne Eier, kläffende Hunde ohne Rückgrat, bestenfalls Angstbeißer. Sie werden ihn in seiner Einschätzung auch diesmal nicht enttäuschen.
Dabei wäre es ganz einfach, wenn sich die große Diplomatie von ihrer verwissenschaftlichten Theorie und dem französisch geprägten Florett befreien und ebenfalls wie eine Straßengang denken würde. Denn da gilt: Nur wer konsequent auftritt, wird auch akzeptiert.
Hätte die NATO auf Bitten der neuen ukrainischen Regierung beispielsweise ein paar leichte Truppenteile in Kiew und Umgebung stationiert, hätte Putin sich zwar verbal echauffieren können – doch gleichzeitig hätte er gewusst: Auch diese Gang meint es ernst. Dann hätte man auf Augenhöhe verhandeln können. Ohne Putins ureigenstes Territorium zu bedrohen. Mit dem offiziellen Mandat der neuen ukrainischen Regierung, die eigenen Sicherheitskräfte zu unterstützen und insbesondere den Schutz der Minderheiten zu garantieren, hätte die NATO die Argumente des gegnerischen Bandenbosses übernehmen und ihm damit den Wind aus den Segeln nehmen können.

Kein Bandenboss zieht in den unkalkulierbaren Krieg

Putin wären die Hände gebunden gewesen – und er hätte sich jeden weiteren Schritt fein säuberlich überlegt. Denn ein Bandenchef mag gut im Bluffen und gut im Drohen sein. Er weiß, wann er welche Karte zu spielen hat. Er ist auch bereit, kräftig zuzuschlagen, wenn er es für unumgänglich erachtet. Er wird aber niemals so weit gehen, mit seinem Handeln sein mühevoll in Besitz genommenes Territorium – und damit sich selbst – zu riskieren. Er wird sein Imperium, wird seine großen und kleinen Gangs und jene Freunde, die ihm die finanzielle Basis seiner Macht garantieren, niemals zur Disposition stellen oder stellen lassen. Als Leningrader Straßenjunge weiß er: Solange der Kanal nicht überschritten wird, ist Friede. Und solange seine Anhänger in ihrem wirtschaftlichen Wirken nicht über Gebühr beeinträchtigt werden, wird keiner seine Position gefährden. Jedoch darf kein Bandenboss die Entlohnungsbereitschaft seiner Schutzbefohlenen unbegrenzt überdehnen. Genau dieses aber hat Putin gerade getan, indem er seine Oligarchen zur Finanzierung seiner olympischen Putin-Spiele heranzog. Hier droht ihm am ehesten Widerstand, wenn die Kosten für Bluffen und Drohen zu hoch werden sollten.
Auch deshalb wird ein Bandenboss einen finalen Krieg grundsätzlich nur dann führen, wenn er entweder keinen wirkungsvollen Gegenschlag zu befürchten hat oder er sich in seiner Existenz bedroht sieht. Ein Bandenboss zieht nur dann in den Bandenkrieg, wenn seine Bande unzweifelhaft stärker ist. Das aber ist die Bande Putins nicht – zumindest noch nicht. Und nicht, wenn die NATO als für ihn gegnerische Straßengang geschlossen auftritt. Solange man sich ihm jedoch nur mit Worthülsen und wirkungslosen Drohungen in den Weg zu stellen sucht, wird er sein Territorium ungerührt vergrößern. Denn Bandenbosse sind auch in dieser Frage berechenbar wie die Führer von Wolfsrudeln. Eine unbewachte Schafherde ist ein willkommenes Opfer. Stehen dort aber gut gefütterte, kräftige Schäferhunde, sucht man sich lieber ein anderes Ziel. Das Risiko, sich bei einem Angriff unheilbare Verletzungen zuzuziehen, ist viel zu groß und lohnt nicht.

Ein Wolf – kein Bär

Putin ist Russe. Aber er ist kein unberechenbarer Bär. Er ist ein Bandenboss mit dem Instinkt eines Wolfes. Dennoch lässt sich die westliche Politik von diesem Bild des Bären, der im vermeintlichen Abwehrkampf zu allem bereit ist, leiten. Und zieht aus der irrationalen Angst vor einem atomaren Krieg knurrend den Schwanz ein vor einem Wolf, der sich wohl kalkuliert mit erhobenen Vorderläufen aufrichtet, um als unberechenbarer Bär wahrgenommen zu werden.
Dabei wäre es so einfach. Nicht denken wie ein französischer Diplomat des achtzehnten Jahrhunderts. Sondern denken wie ein Bandenboss. Und handeln wie ein Bandenboss. Dabei das Kernterritorium des Gegners nicht bedrohen, nicht in Frage stellen.

Der Westen braucht einen Selfmademan

Was der Westen heute bräuchte, wäre ein Selfmademan aus der Bronx mit dem Instinkt der Straße. Jemanden, der Putins Sprache spricht. Stattdessen hat er einen Rechtsanwalt aus Chicago, der nicht einmal weiß, ob man einem Bandenboss die Hand geben darf.
Doch – man darf. Man muss sogar. Aber man muss bei der Begrüßung kräftig zudrücken können, um ernst genommen zu werden.
Weil die Politiker im Westen und ihre zahllosen, verkopften Berater dieses nicht begreifen, haben sie diesen Konflikt bereits eskalieren lassen, als sie Putins Raid Over Georgia hinnahmen. Sie werden auch den Konflikt um die Krim verlieren. Und ebenso all jene, die noch kommen werden.
Denn auch das ist eine Grundregel russischer Straßenjungen:
Ein Bandenboss gibt sich nie zufrieden, solange er die Chance sieht, lohnenden Gewinn zu machen.

Warum sollte er auch.

ENDE

©20140304 spahn

5 Kommentare

  1. Ausgezeichnetes Portrait. Wenn Sie sich demnaechst ueber ein paar Visits mehr wundern… Saluti

  2. Interessant, aber nicht historisch akkurat. Putin wuchs nicht als armer Junge auf, sondern kam aus einem ganz normalen Mittelstandshaushalt. Die Gang in seinem Haus war auch keine kriminelle Gang, sondern lang-haarige Beatles Fans, die mit Putin aber schon im Sandkasten nichts zu tun haben wollten. Wichtiger als die Gangerfahrung war für Putin der ganz normale sowjetische Patriotismus, der damals an die kommunistische Partei gekettet war, aber sehr gut auch ohne deren ideologischen Überbau fuer sich stehen kann.

    1. Zutreffend ist: Nach sowjetischen Verhältnissen mag man das als Mittelstandshaushalt bezeichnen. Das Poblem: Es gab und gibt in der UdSSR/Russland keinen eigentlichen Mittelstand. Ich habe derartige Familien bei meinen Besuchen in Russland besucht. Sie waren in den Wohnungen extrem kleinbürgerlich eingerichtet und weit entfernt von westeuropäischen Standards. Davon abgesehen aber stellen die russischen Putin-Bios dieses selbst anders dar – und es spielt auch keine Rolle. Denn der entscheidende Punkt ist die Claimverteilung russischer Städte zwischen Straßenbanden – damals wie heute Realität. Diese Form der Kriminalität war systemimmanent – und Putin hat das bereits im Sandkasten aufgesogen. Der Hinweis auf den sowjetischen Patriotismus – der tatsächlich ein russischer ist – ist korrekt. Er erklärt den globalpolitischen Ansatz Putins – nicht aber sein Verhalten, welches wie dargestellt nach den Regeln der Straßengangs organisiert ist.

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